Wieviel Büro braucht die Arbeit?

Wieviel Büro braucht die Arbeit?

Wie groß muss die Bürofläche sein? Brauchen wir noch (Akten)schränke? Ersetzen Videokonferenzen die Präsenzmeetings? Werden noch Gemeinschafts- und Sozialräume benötigt? Ist das Betriebsrestaurant noch zeitgemäß? Wird ein Büro überhaupt noch gebraucht, wenn jeder im Homeoffice arbeiten kann, wann er will? Werden die Veränderungen aus der Pandemie dauerhaft bleiben?

Diese und andere Fragen werden heute häufig gestellt.

Alle, die sich in den vergangenen Jahren mit New Work beschäftigt haben, wissen, dass flexibles Arbeiten aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse viel umfassender gesehen werden muss, als das bisher geschah. Die Coronakrise ist ein Einschnitt, der die Chance bietet, bisherige Erkenntnisse zur Arbeitswelt mit mehr Bewusstsein einzuordnen.

iafob deutschland hat im Frühjahr 2021 ein Projekt durchgeführt, das Lösungen aufzeigt, wie die strategischen Überlegungen von New Work und die Erfahrungen aus der Corona-Krise umgesetzt werden können.

Dafür begleitete iafob deutschland Mitarbeitende und Management der Georg Thieme Verlag KG in Stuttgart beim Prozess der Entwicklung eines neuen Arbeitsmodells. Erkenntnisse der vergangenen Jahre zu New Work waren die Basis für eine Veränderung der Arbeitswelt. Erfahrungen aus der Pandemie wurden in das Arbeitsmodell integriert. Der Thieme-Verlag verändert nun den Blick auf die Arbeit.

BüroArbeitsmodell: New Work@Thieme

Ein neues Arbeitsmodell ist nicht die Veränderung der Arbeitsumgebung, sondern eine neue Geografie und Dynamik der Arbeit. Die Herangehensweise von iafob deutschland setzt deshalb tiefer in der Struktur der Arbeitswelt an.

Dazu gehören auf der Unternehmensseite Fragen nach den Arbeitsprozessen, der Kommunikations- und Führungskultur und auf der Seite der Mitarbeitenden Fragen nach ihren Bedürfnissen und die Erfüllung der Werte des gesellschaftlichen Wandels.

Wir gingen dabei von der Hypothese aus, dass die Pandemie einen unumkehrbaren Einfluss darauf haben wird, wie wir zukünftig arbeiten und leben werden. Es wird kein „Zurück zur alten Normalität“ geben. Die zukünftige Arbeitswelt wird durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und einem Streben nach Gesundheit sowie einer Balance der Lebensbereiche für jeden Einzelnen geprägt sein.

Befragungen und Interviews mit Geschäftsführung und Führungskräften über die strategischen Ziele des Unternehmens wurden virtuell durchgeführt.  Die Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden wurden online abgefragt.

Darauf aufbauend entwickelten wir ein Arbeitsmodell mit folgenden Kernpunkten:

  • Arbeitsprozesse werden dort wahrgenommen, wo die Bedingungen es am besten erlauben. Homeoffice ist keine temporäre Lösung, sondern wird fester Bestandteil des Arbeitsmodells.
  • Eigenorganisation und Selbständigkeit der Teams bestimmen den Arbeitsablauf.
  • Die Führungskultur fördert Gesundheit und Wohlbefinden ebenso wie Sinnhaftigkeit der Arbeit und Ansporn zur Leistung.
Wieviel Platz brauchen wir im Büro?
Wieviel Platz benötigen Mitarbeitende im Büro? Welche Art von Arbeitsflächen sind notwendig? Das ermittelte iafob deutschland im Rahmen des Projekts “New Work @Thieme” für den Thieme Verlag in Stuttgart. Foto: Laura Davidson

Anforderungen an die BüroArbeitsfläche

Für die Außenstelle der Unternehmenszentrale sollten aufbauend auf den Leitlinien des Arbeitsmodells die Büros umgestaltet werden.

Es wurde ein „Bürokonzept“ erstellt, das den Zielsetzungen von New Work entspricht und die Erfahrungen sowie besonderen Bedingungen seit der SARS-CoV-2-Pandemie, berücksichtigt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung arbeiteten fast alle Mitarbeitenden schon überwiegend im Homeoffice, sodass deren Vorstellung über Remote Work schon auf monatelanger Erfahrung basierte.

Ziel war es, dass die Bürofläche, die das Unternehmen den Mitarbeitenden zur Verfügung stellt,

  • so attraktiv ist, dass die Mitarbeitenden dorthin gern zur Arbeit gehen und einen sozialen (Arbeits-)Kontakt in angenehmer Atmosphäre ermöglicht
  • ein Wohlfühlen erzeugt (Well Being), Gesundheitsanreize bietet und mit nachhaltigen Materialien ausgestattet und betrieben werden kann

Das Büro sollte dabei zur Unternehmensheimat, zum Ort des gemeinsamen Austauschs, zur Identitätsbildung, der Inspiration aber auch der Fokussierung werden.

Für drei Szenarien wurde ein Konzept für die Bürofläche entwickelt: erstens bei einer Anwesenheitsquote von ca. 30 Prozent zweitens bei ca. 50 Prozent und drittens bei ca. 70 Prozent.

Konzeption der BüroArbeitsfläche

Es wird eine Fläche geschaffen, die für verschiedene Anforderungen gleichzeitig nutzbar ist. Die Büroflächen setzen sich zusammen aus Arbeitsplätzen sowie Rückzugs- und Begegnungsflächen. Einzelarbeit kann auf dieser Fläche genauso stattfinden wie Gespräche und Besprechungen.

Dazu wird die Fläche mit Einrichtungen ausgestattet, die leicht umzustellen und die leicht durch die Mitarbeitenden ohne fremde Hilfe zu verändern sind. Dabei erlernen und erleben die Mitarbeitenden agile Arbeitsmethoden und kulturelle Veränderungen; ihr Teambewusstsein wird gefördert.

Sozialer Kontakt und Attraktivität

  • Die BüroArbeitsflächen sind offene, non-territoriale Flächen. Es gibt keine fest zugeordneten Arbeitsplätze. Ausnahmen: Funktionen, deren Prozesse ortsgebunden sind. Die Fläche soll durch eine modulare Raumstruktur und Einrichtung ein Maximum an Flexibilität ermöglichen.
  • Die bisherigen Büroflächen entwickeln sich zu Begegnungs- und Besprechungsräumen. Sie werden Dreh- und Angelpunkt, an dem die Mitarbeitenden zusammenkommen, um kreativ zu sein, gemeinsam Ideen zu entwickeln, Aufgaben zu lösen und Entscheidungen zu bearbeiten. Zugleich soll es auch ein Ort sein, wo sie sich wohlfühlen, der ein emotionales Bindeglied zum Unternehmen (Identifikation) darstellt und Wissensvermittlung bietet.
  • Die Benutzer können ihre Arbeitsumgebung mit- und umgestalten. Vorschläge zur Farbgestaltung und „wohnliche“ Accessoires können von den Mitarbeitenden eingebracht werden. Die Mitgestaltung stellt den Erfolg des Arbeitsmodells sicher.
    Veränderungen in der Raumgestaltung sind ohne Serviceleistung möglich. Zusammenlegen oder trennen von „Räumen“ geschieht möglichst durch Trennvorhänge anstelle fester Trennwände. Sie sind flexibler und sorgen für ein besseres Raumgefühl.
    Für Kommunikation und Wissenstransfer benötigt die Fläche eine optimale technisch-innovative Ausstattung und ein kreativitätsförderndes und sich mit dem Unternehmen identifizierendes Ambiente. Eine mediale Ausstattung, die auch hybrid arbeitende Teams (Homeoffice und Büro) unterstützt, sollte vorhanden sein.
  • Homeoffice, d.h. nicht im Büro getätigte Arbeit, wird nach Abklingen der Corona-Pandemie abnehmen, aber als wesentlicher Anteil bestehen bleiben.
    Konzentrierte Einzelarbeit wird vorwiegend im Homeoffice erledigt. Eine Faustformel, „Arbeitsplatz für konzentriertes, fokussiertes Arbeiten“ = Homeoffice, „Begegnungs- und Besprechungsräume für Ideenaustausch und Zusammenarbeit“ = BüroArbeitsfläche, gibt es aber nicht. Auch wenn Tätigkeiten, die eine hohe Konzentration erfordern, vorwiegend im Homeoffice erledigt werden, so fallen Arbeitsplätze für fokussiertes und konzentriertes Arbeiten im Businessoffice nicht ganz weg; ein Rückzugsort, um Ideen allein zu verarbeiten, bleibt notwendig.
Bei Thieme können Mitarbeitende ihre Arbeitsumgebung selbst mitgestalten und beispielsweise eigene wohnliche Accessoires mitbringen.

Well-Being und Nachhaltigkeit

  • Bei alternativen Möglichkeiten der Raumgestaltung wird die Alternative gewählt, die das Ziel der Gesundheitserhaltung und -förderung erfüllt. Bei der Planung der benötigten Arbeitsfläche wurde der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard angewendet. Zukünftige Infektionen werden auftreten und auch die bisher hohe Kosten verursachenden Grippewellen im Herbst und Frühjahr lassen sich dadurch vermeiden. Bewegungsangebote werden auf der gesamten Fläche (Deskbike, Laufmatte, Trampolin, „Zwangspunkte“ zur Bewegung) angeboten.
  • Jeder Bereich erhält seine Homebase. Die Fläche wird für jeden Bereich individuell nach den jeweiligen Arbeitsanforderungen berechnet. Es gibt keine einheitliche Lösung (Flächenaufteilung). „Spielregeln der Nutzung“ für die Belegung der Flächen innerhalb der Teams, der Bereiche und zwischen den Bereichen müssen von den Teams erarbeitet werden. 18 Prozent der Fläche stehen für Fokussierung, 68 Prozent für Teamarbeit, Interaktion und 14 Prozent für Rückzug und Entspannung den Bereichen im Durchschnitt zur Verfügung. Für durchschnittlich 67 Prozent der Mitarbeitenden steht permanent ein Arbeitsplatz als Einzel- bzw. Gruppenarbeitsplatz zur Verfügung. An Bürofläche werden von den Bereichen im Vergleich zum IST-Stand durchschnittlich 29 Prozent eingespart.
  • Vorhandene Einrichtungen werden bevorzugt. Bei Neuanschaffungen, die für Coworking-, Meeting-, Rückzugs-und Begegnungsflächen notwendig sind, werden Lösungen aus nachhaltigen, zertifizierten Materialien und Vorgehensweisen angestrebt, die flexibel einsetzbar sind. Die kürzeren Lebenszyklen bei Konferenz- und Kommunikationsausstattung werden bei Neuanschaffungen berücksichtigt.

Resümee

Erkenntnisse aus der Pandemie haben dauerhaft die Wahrnehmung der Arbeit verändert. Die freie Wahl zwischen Homeoffice und Businessoffice ist der eine Kernpunkt der veränderten Sichtweise. Der andere sind die veränderten Erwartungen der Mitarbeitenden an die Bedingungen der Arbeit.

Höhere Ansprüche der Mitarbeitenden an Gesundheit bei der Arbeit – und an eine psychosoziale Umgebung müssen erfüllt werden. Das Büro wird dabei zum Ort des persönlichen Austauschs, der Gemeinschaft und einer identitätsstiftenden Arbeitswelt.

So lässt sich New Work dauerhaft gestalten, damit die Menschen ihre Arbeit als sinnvoll erleben, sich wohlfühlen und produktiv sind.

Sie möchten mehr über das Projekt erfahren? Oder stehen selbst vor der Herausforderung, Ihre Büroumgebung auf die Bedingungen nach der Pandemie anzupassen? Dann sprechen Sie uns gern an

Über den Autor

Dieter Boch, Geschäftsführer iafob deutschland

Dieter Boch ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) und Leiter des internationalen Flexible.Office.Network., einem überbetrieblichen Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zur BüroArbeitswelt von Morgen.

Als Dozent lehrte er an der Fachhochschule Salzburg und der Hochschule für Wirtschaft in Zürich Führungsverhalten und Future Work & Workplace Design.

Der Diplom-Psychologe ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und 
Mitherausgeber der Buchreihe „Flexible Arbeitswelten“.