Was hat das Streben nach Gesundheit mit der Zukunft des Büros zu tun?

iafob Deutschland Gesundheit Megatrend

Gesundheit ist seit der Corona-Pandemie zu dem Megatrend geworden, sagen einige Trendforscher. Nein, Gesundheit ist seit über 20 Jahren der Megatrend!

Gesundheit ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts der wichtigste Motor für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den westlichen Industriestaaten. Der Gesundheitsmarkt gehört zu den größten Branchen der Welt.  

So sind seit 2000 zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze in den USA im Gesundheitssektor entstanden. Im Jahr 2024 wird der Gesundheitssektor nach einer Studie des US-Bureau of Labor Statistics der größte Arbeitgeber der USA sein. 

Denn seit der Jahrtausendwende befinden wir uns im sechsten Kondratieffzyklus (Die Theorie der langen Wellen der Weltwirtschaft, benannt nach dem sowjetischen Wissenschaftler Kondratieff.) Sein Auslöser und Träger ist das Gesundheitswesen. Seine Basisinnovationen sind psychosoziale Gesundheit und Biotechnologie.

Abb. 1: Die Wellen der wirtschaftlichen Entwicklung, Quelle: Leo Nefiodow, der sechste Kondatrieff, 2001.

Gesundheit war immer wichtig – wenn sie fehlte

Gesundheit hat in den letzten Jahrzehnten – auch schon vor der Corona-Pandemie – eine wesentliche Bedeutung im gesellschaftlichen Bewusstsein bekommen. Aber meist nur dann, wenn sie fehlte.

Der Boom des Gesundheitssektors in der Wirtschaft war bestimmt vom Auftreten von Krankheiten. Die Medizinbranche lebt nicht von der Gesundheit der Menschen, sondern von ihrer Krankheit. Nahrungsergänzungsmittel wurden erst dann gekauft, wenn man ein Unwohlsein spürte. Ein rückengerechter Stuhl wurde im Büro erst nach Vorliegen eines ärztlichen Attests genehmigt. Ergonomische Möbel waren die Ausnahme, nicht die Regel. Vorbeugende Instandhaltung gab es nur bei Maschinen. Vorbeugen statt Heilen war immer nur ein frommer Wunsch von Idealisten oder eine geschickte Marketingstrategie.

Gesundheit ist nicht länger mehr ein individuelles Thema. Mit den Erkenntnissen der Corona-Pandemie wird Gesundheit betrachtet als elementare Bedingung der Lebensgrundlage.

Seit Ende des Industriezeitalters und dem Beginn des Wissenszeitalters hat sich Arbeit gewandelt, weg von körperlicher hin zu geistiger Arbeit. Nicht gewandelt haben sich die Ansätze und Methoden des Gesundheitsschutzes. Das führte dazu, dass psychische Erkrankungen rapide zunahmen. Der Mensch lernte nur schwer, die Belastungen der Wissens-Arbeit einzuschätzen. Ist der Muskel überfordert, bemerkt es der Mensch rechtzeitig und er legt eine Pause ein. Wenn der Geist überfordert ist, bemerkt es der Mensch erst zu spät.

Stress, Depression und Burnout sind die Folgen. Die direkten Kosten für psychische Erkrankungen lagen nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen an zweiter Stelle und waren in den letzten Jahren mit 44,4 Milliarden Euro deutlich höher als die Kosten für Rücken- und andere Muskelerkrankungen mit 34,2 Milliarden Euro, die an vierter Stelle lagen (Statistisches Bundesamt, 2020).

Ohne Bewegung kein Gehirn

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) wird aber immer noch bestimmt von Gesetzen und Einstellungen aus dem vorletzten Jahrhundert, die Ausrichtung auf Ergonomie ist hoch. Körperliche Fitness steht im Vordergrund des Angebots.

Kirschblüten, Foto: Emma Boch
Foto: Emma K. Boch

Doch Bewegung wirkt sich nicht nur auf körperliche sondern auch auf geistige Funktionen aus. Neueste Erkenntnisse aus der Neurophysiologie bleiben noch weitgehend ungenutzt. Daniel Wolpert, Mediziner und Neurobiologe an der Columbia University, New York City, hat in einer aufsehenerregenden Studie 2014 die These aufgestellt, dass der einzige Grund, warum der Mensch ein Gehirn hat, die Bewegung ist.

Je mehr Bewegung in unterschiedlicher Umgebung der Mensch ausübt, desto mehr Informationen bekommt er und desto mehr Ideen hat er (nachzulesen in „Flexible Arbeitswelten, Arbeiten in Zeiten der Pandemie – zwischen Coworking und Homeoffice“).

Bewegung hilft also nicht nur den Körper fit zu halten, sondern macht auch produktiver, glücklicher und zufriedener, weil kreativer. Und das wiederum verhindert Stress, Depression und Burnout.

Die Kosten für das Verdauungssystems liegen mit 41,6 Milliarden Euro an dritter Stelle noch vor den Kosten für Rücken- und andere Muskelerkrankungen. Diese Erkrankung wird aber fast immer im Bereich privater Verantwortung gesehen. Nur ganz selten gibt es Hilfen, Ratschläge und Einrichtungen im Büro für Menschen mit Krankheiten des Verdauungssystems. Die Essenszubereitung in den Betriebsrestaurant müsste auch darauf hin abgestimmt werden.

Alles nichts ohne Gesundheit

„Bleiben Sie gesund“ – Um diesen Satz wird seit einem Jahr die Grußformel in Briefen und E-Mails ergänzt. Was ist neu, was ist anders geworden seit der Corona-Pandemie?

Gesundheit ist nicht länger mehr ein individuelles Thema. Mit den Erkenntnissen der Corona-Pandemie wird Gesundheit betrachtet als elementare Bedingung der Lebensgrundlage. Der Mensch achtet nicht mehr auf das Wohlbefinden und die Gesundheit einzelner seelischer oder körperlicher Funktionen, sondern alle Aktivitäten und Situationen werden auf ihre gesundheitliche Ausrichtung ausgerichtet bzw. überprüft.

Es werden nicht mehr einzelne Therapien verlangt, die lokal ansetzen, sondern umfassende und vorbeugende Maßnahmen. Nicht nur der Stuhl soll ergonomisch sein, sondern die gesamte Einrichtung des Büros. Nicht mehr Fitnesskurse nach Feierabend, sondern gesunderhaltende Arbeitsbedingungen jederzeit und überall sind gefragt. Das Leben in der Arbeit, egal wo sie stattfindet, soll gesunderhaltend sein, von der Bewegung bis hin zu einer stressfreien Unternehmenskultur.

Foto: Emma K. Boch

Auch das Konsumverhalten hat sich verändert, es wird Wert gelegt auf gesunde Ernährung, nicht nur gentechnikfrei, sondern auch umweltbewusst produziert. Nicht nur Bio, sondern vor allem auch regional und saisonal. Das Restaurant im Arbeitsbereich muss frisch zubereitete Speisen aus der Region anbieten, keine aufbereiteten Speisen, die eine halbe Weltreise hinter sich haben.

Das Arbeiten im Homeoffice führt auch dazu, dass nicht mehr unterschieden wird zwischen Arbeits- und Privatleben. Es wird vom Unternehmen kein betriebliches Gesundheitsmanagement mehr erwartet, sondern, dass es Hilfen gibt für das Leben. Flexible Arbeitszeitmodelle für Mobile Working, Hilfen bei der Kinderbetreuung, ein Familienservice, der Unterstützung in allen Lebenslagen anbietet u.v.m. helfen dem Mitarbeitenden in seinem Leben.

Klimaschutz ist Gesundheitsschutz

Artensterben und Klimawandel haben gezeigt, dass es um den Schutz der Natur für den Menschen, um den Erhalt seiner Gesundheit und Lebensgrundlagen geht.

Foto: Emma K. Boch

Laut einer Umfrage des Umweltbundesamtes vom April 2021 sind mehr als drei Viertel aller Deutschen der Meinung, dass zu wenig für den Klimaschutz getan würde. Die Sorge um den Erhalt des Planeten steht gleichgewichtig neben der Angst vor dem Corona-Virus. Nachhaltigkeit ist also keine Leitlinie mehr für Klimaschutz, sondern für den Erhalt der Lebensgrundlage des Menschen. Nicht nur der „Betrieb“ des Büros soll nachhaltig sein (Energieverbrauch) sondern auch die Errichtung des Gebäudes.

Allein rund 50 Prozent des CO2-Ausstosses werden durch die Errichtung eines Gebäudes verursacht. Das Baumaterial Lehm könnte zukünftig als nachhaltige und umweltfreundliche Alternative für neue Bauten taugen, wie es der Alnatura-Campus in Darmstadt vormacht.

Aber schon die Nutzung von Homeoffice trägt dazu bei, unsere Lebensgrundlagen zu schützen, weil dadurch weniger Büroflächen gebraucht werden. Und selbstverständlich sollte die Einrichtung der Arbeitslandschaft im Home- und Businessoffice mit nachhaltigen Materialien ausgestattet sein.

Gesundheit hat höchste Priorität im (Arbeits-)Leben

Gesundheit und Wohlbefinden haben eine dominierende Bestimmung im Leben bekommen. Alles menschliche Denken und Handeln wird nach dem Aspekt „Gesundheit“ hinterfragt. Gesundheit ist das bestimmende Thema in allen Lebenslagen geworden. Die Ausrichtung auf gesundheitsorientierte Lebensführung, Ernährung und Arbeits- und Freizeitverhalten bestimmt unsere Entscheidungen.

Für das iafob deutschland stand schon immer bei all seinen Projekten die Gesundheit neben den Themenfeldern Führungs-/Unternehmenskultur und Gestaltung des Arbeitsraums im Vordergrund. Bisher mussten wir den Kunden von gesunderhaltenden Gestaltungsmaßnahmen überzeugen. In unserem jüngsten Projekt wurden Maßnahmen zur Gesunderhaltung nachgefragt. Der Wandel wird spürbar.


Über den Autor

Dieter Boch, Geschäftsführer iafob deutschland

Dieter Boch ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) und Leiter des internationalen Flexible.Office.Network., einem überbetrieblichen Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zur BüroArbeitswelt von Morgen.

Als Dozent lehrte er an der Fachhochschule Salzburg und der Hochschule für Wirtschaft in Zürich Führungsverhalten und Future Work & Workplace Design.

Der Diplom-Psychologe ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und 
Mitherausgeber der Buchreihe „Flexible Arbeitswelten“.